Das KulturGutRetter-Projekt entwickelt technische Charakteristika für Verfahren, Einsatzkräfte und Ausrüstung, die es der Einheit ermöglichen, die Aufgaben der Schadensbewertung, der Evakuierung von beweglichem Kulturerbe und der Notfallversorgung von mobilem und immobilem Kulturerbe abzudecken.
Ein Beitrag von Constance Domenech de Cellès, Wissenschaftliche Mitarbeiterin (KulturGutRetter, Deutsches Archäologisches Institut, DAI) und Nils Jakubeit, Referent (Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, THW)
Ziel der Einsatzeinheit KulturGutRetter ist es, in den ersten Tagen nach einer Naturkatastrophe oder einem anderen disruptiven Ereignis weltweit einsatzfähig zu sein und Soforthilfe für Kulturerbe zu leisten. Die Interoperabilität zwischen Katastrophenschutz und Kulturgutschutz ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Aus diesem Grund entwickelt das Projekt KulturGutRetter technische Charakteristika für Verfahren, Einsatzkräfte und Ausrüstung, die es der Einheit ermöglichen, die Aufgaben der Schadensbewertung, der Evakuierung von beweglichem Kulturerbe und der Notfallversorgung von mobilem und immobilem Kulturerbe abzudecken. Als autarke Einheit für Einsätze im Ausland konzentriert sich KulturGutRetter auf die Einhaltung europäischer und internationaler Standards und die Förderung der Interoperabilität mit anderen Notfallakteuren vor Ort aus den Bereichen Katastrophenschutz und Kulturgüterschutz.
Teamstruktur
Im Einsatzgebiet
Die Teamstruktur der KulturGutRetter-Einsatzeinheit orientiert sich an der der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) in internationalen Nothilfeeinsätzen. In diese Struktur wird das Know-How rund um die Rettung und Bergung von Kulturgütern mit einfließend. Dies ermöglicht es Fachleuten aus beiden Bereichen zusammenzuarbeiten.
Die Aufgaben und Anforderungen an die Einsatzkräfte werden für jede Funktion innerhalb des Teams definiert. Der Einsatzleiter oder die Einsatzleiterin vor Ort, wird in der Regel vom THW gestellt und meldet an den gemeinsamen Planungsstab, der sich in der THW-Einsatzzentrale befindet. Er oder sie wird von einer stellvertretenden Einsatzleitung unterstützt. Die Einsatzleitung überwacht Folgendes:
- Eine Support-Einheit, bestehend aus einer Logistik-Einheit, THW- Informations- und Kommunikationstechnik, Sanitätspersonal sowie Lager- und Instandhaltungskapazitäten
- Mehrere Fachkräfte, wie z.B. MedienreferentIn, VerbindungsoffizierIn, Safety & Security-Expertin, StatikerIn
- Einen EinheitsführerIn der/die zuständig für die spezialisierten Einheiten für Kulturerbe ist. Zu diesen Einheiten zählen folgende: Einheit 1 – Mobiles Kulturerbe, Einheit 2 – Immobiles Kulturerbe und die IT-Einheit, welche in die Einheiten Support, Mobiles und Immobiles Kulturgut aufgeteilt ist.
Je nach Art des Einsatzes können weitere Einheiten hinzugefügt werden, wie z. B. die Schnell-Einsatz-Einheit Wasser Ausland (SEEWA) des THW oder eine Einheit aus lokalen Partnern und Ehrenamtlichen.
Netzwerk von Experten
Um im Notfall das richtige Fachwissen zur Hand zu haben, baut das KulturGutRetter-Projekt ein Netzwerk von Fachkräften aus verschiedenen Fachgebieten auf. Hierzu zählen beispielsweise RestauratorInnen, IngenieurInnen, KuratorInnen, ArchäologInnen oder technische BeraterInnen. Um die spezifischen Anforderungen für jedes Fachgebiet festzulegen, werden Profile definiert und den Fachkräften zugewiesen. Zudem werden administrative, rechtliche, versicherungstechnische und medizinische Fragen für internationale Einsätze so weit wie möglich im Vorfeld vorbereitet. Ziel ist es, eine geprüfte Datenbank einsatzbereiter Experten und Expertinnen zu erstellen, um das KulturGutRetter-Einsatzteam entsprechend den Bedürfnissen des Notfalls zu ergänzen.
Ausbildung
Derzeit wird ein gemeinsames Schulungsprogramm für Kultur- und Katastrophenschutzfachleute entwickelt, die Teil des KulturGutRetter-Netzwerks sein werden, um ein Mindeststandard an gemeinsamem Wissen und gegenseitigem Verständnis sicherzustellen. THW-Mitarbeitende, die in der KulturGutRetter-Einheit eingesetzt werden, haben zudem die THW-Grundausbildung für Auslandseinsätze absolviert. Diese basiert auf den Schwerpunkten Prozesse und Grundsätze im internationalen Einsatz, Partner und Akteure, Sicherheit, interkulturelle Kompetenz und internationale Koordinierungsverfahren absolviert. Zusätzlich werden regelmäßige Schulungen und Übungen organisiert, um das Team einsatzbereit und auf dem neuesten Wissensstand zu halten.
Ausrüstung und Logistik
Allgemeine Lagerinfrastruktur
Wie jedes internationale Nothilfemodul ist die KulturGutRetter-Einsatzeinheit als autarke, autonome Einheit konzipiert. Das für die KulturGutRetter-Einheit eingesetzte Material, die Ausrüstung und die Logistik entsprechen dem, was das THW auch in anderen Katastrophenschutzeinsätzen vorhält. Die Komponenten der Base of Operations (Camp der Operationsbasis) können entsprechend der Größe des Einsatzes und der des Einsatzteams skaliert werden. Eine Campeinheit beinhaltet: Ein Küchenzelt, Schlafzelte, Büro-/Aufenthaltszelt, mobile Duschen und Toiletten, Generator, Beleuchtung und Werkzeug Telekommunikations- und IT-Material sowie medizinische Ausstattung sind ebenfalls enthalten.
Spezifische Ausrüstung für das kulturelle Erbe
Um der Spezialisierung der KulturGutRetter-Einheit gerecht zu werden, wurde zusätzliche Ausrüstung entwickelt, die auf die Bedürfnisse der Nothilfeeinsätzen und spezifisch für das kulturelle Erbe zugeschnitten wurde und gleichzeitig mit den logistischen Anforderungen des Zivilschutzes kompatibel ist.
Dementsprechend hat das Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) für die Erstversorgung beweglicher Kulturgüter ein leichtes, modulares Tischsystem entwickelt, in das je nach Bedarf unterschiedliche Stationen integriert werden können. Dazu gehören die Trockenreinigung, Nassreinigung, Fotodokumentation und das Verpacken von Objekten. Eine „Einheit“ des mobilen Konservierungslabors entspricht einer bestimmten Teamgröße und kann beliebig skaliert werden. Die Elemente können in Transportboxen, in Standardgröße, gelagert werden, die für den Flugzeugtransport geeignet sind, und mit einfachen Werkzeugen montiert und demontiert werden.
IT-Backbone und Datenstruktur
Eine robuste, dezidierte digitale Infrastruktur wird für alle Phasen einer KulturGutRetter-Einsatzmission entwickelt: Einsatzvorbereitung, Einsatz im Feld, Einsatznachbearbeitung.
So werden zum Beispiel die bereits vorhandenen Informationen zum Katastrophengebiet/Einsatzort (z.B. Fotos, Grundrisse, Inventare, GIS-Daten) gesammelt und den Experten und Expertinnen vor Ort über mobile Endgeräte zur Verfügung gestellt. Während des Einsatzes können sie ihre eigenen Daten sammeln und die umgesetzten Maßnahmen dokumentieren, indem sie dieselben mobilen Geräte und vordefinierten digitalen Formulare verwenden. Dank der Verwendung von QR-Codes wird es möglich sein, die Position und den Status des beweglichen Kulturguts zu verfolgen. Am Ende des Einsatzes werden die strukturiert verarbeiteten Daten des geretteten Kulturguts an das betroffene Land und an die jeweilige Institution übergeben. Zudem können sie in bestehende Datenstrukturen eingebunden werden, um zu dessen nachhaltiger Pflege und Erhaltung beizutragen.
Die KulturGutRetter-Einheit wird zwei Apps verwenden können. iDAI.field – eine eigene Entwicklung des DAI für archäologische Ausgrabungen, die an die Bedürfnisse des Themas KulturGutRetter angepasst wurde und QField. Bei beiden Anwendungen handelt es sich um Open-Source-Software. Sie ermöglichen eine schnelle und effiziente Erfassung von Daten vor Ort, sowohl für bewegliches als auch für unbewegliches Kulturgut. Die Apps erlauben eine einfache Synchronisierung, den Datenaustausch mit anderen Apps und die spätere Verarbeitung von Daten. Die Software ist so konzipiert, dass sie nach einer kurzen Schulung von lokalen Hilfskräften leicht genutzt werden kann.
Standardverfahren
Aktivierungsmechanismus und Mobilisierung von Ressourcen
Die KulturGutRetter-Einsatzeinheit kann aktiviert werden, nachdem ein offizielles internationales Hilfsersuchen des von der Katastrophe betroffenen Landes an Deutschland gestellt wurde. Dies kann entweder bilateral oder über die Europäische Union geschehen. Nachdem der Einsatze der KulturGutRetter-Einheit beschlossen wurde, wird eine Meldung an das THW gesendet, welche den Aktivierungsprozess fortsetzt: Kontaktaufnahme des Kernteams, Nachricht an die erforderlichen ehrenamtlichen ExpertInnen aus dem Netzwerk zur Bestätigung der Verfügbarkeit, Mobilisierung von Ressourcen und Ausrüstung.
Koordination und Kommunikation
Die zentrale Koordination für einen KulturGutRetter-Einsatz erfolgt in der Einsatzzentrale der THW-Leitung in Bonn und setzt sich aus Mitarbeitenden des THW, DAI und LEIZA zusammen. Die Mitarbeitenden in der Einsatzzentrale werden für den gesamten Einsatz verantwortlich sein und das Team, das im Einsatzgebiet ist unterstützen (z.B. durch Flugbuchungen, Aktivierung lokaler Netzwerke oder das Sammeln von ExpertInnenwissen, bis zu speziellen Fragen die das kulturelle Erbe betreffen).
Einsätze
Fernerkundung und Notfalldokumentation
Das IT-Team wird über mehrere Quellen (z. B. Copernicus, soziale Medien) Informationen zur allgemeinen Situation und zum betroffenen Kulturerbe sammeln. Alle vorab verfügbaren Informationen zum kulturellen Erbe (z. B. Architekturpläne, Fotos und Inventarlisten) werden ebenfalls gesammelt und aufbereitet. Bei Bedarf kann ein erstes Erkundungsteam vor Ort eingesetzt werden, um den Bedarf für den gesamten Einsatz besser einschätzen zu können.
Logistikstrukturen für die Entsendung
Das THW verfügt über ein Logistikzentrum für Auslandseinsätze (ZAL) in der Nähe des Flughafens Frankfurt/Main, in dem das Material zur Selbstversorgung und auch die Spezialgeräte des KulturGutRetter gelagert werden.
Minimale Standardprozesse (MSP)
MSP werden entwickelt, um sicherzustellen, dass alle Teammitglieder einheitliche und abgestimmte Standards befolgen, auch wenn sie an verschiedenen Standorten arbeiten. Sie beschreiben drei Hauptphasen für den Umgang mit beweglichem und unbeweglichem Kulturgut: Dokumentation des Zustands (Fotos, Zeichnungen, schnelle 3D-Dokumentation), Bewertung und Priorisierung von Schäden sowie die Durchführung erster Notfallmaßnahmen (Sortierung, Reinigung, Notkonservierung und -stabilisierung, Lagerung). Diese MSPs können an die Situation und die Art des gefährdeten Kulturerbes angepasst werden. Sie gewährleisten die Transparenz der Verfahren und die konstante Qualität in der Durchführung der Maßnahmen.
Übergabe und Einsatzende
Ist das Kulturerbe durch eine erste Notversorgung gesichert und stabilisiert, erfolgt die Übergabe an die zuständigen Behörden mit einer transparenten Dokumentation der getroffenen Maßnahmen. Außerdem werden Empfehlungen für weitere Maßnahmen gegeben und Möglichkeiten zum Aufbau von Kapazitäten können ins Auge gefasst werden. Nach dem Ende der Mission wird eine Nachbesprechung (Lessons Learned) organisiert, um die gewonnenen Erkenntnisse zu identifizieren und die KulturGutRetter-Kapazität ständig zu verbessern.
Nächste Schritte zur europäischen Integration
Im Jahr 2023 sind Schulungen und Übungen geplant mit dem Ziel, bis Ende des Jahres einsatzfähig zu sein. Durch die Beteiligung von zwei KulturGutRetter-Partnern – dem DAI und dem THW – am europäischen Projekt PROCULTHER-NET ergibt sich die Gelegenheit, die Einheit weiter in europäische Standards einzubinden und ihre Interoperabilität mit zukünftigen Entwicklungen des Katastrophenschutzmechanismus der Europäischen Union (UCPM) zu gewährleisten.
Quelle: Technical Bulletin | PROCULTHER-NET, Issue #1, March 2023