Der Geodatenwissenschaftler Pouria Marzban (Deutsches Archäologisches Institut, DAI) arbeitet im Bereich Fernerkundung im Projekt KulturGutRetter. Bevor die Cultural Heritage Response Unit (CHRU) zum Katastrophengebiet fliegt, werden Fernerkundungsdaten, Karten und andere Daten gesammelt. In diesem Interview spricht Pouria Marzban über seine Forschung sowie über die Möglichkeiten und Herausforderungen der Nutzung von Geodaten zum Schutz des Kulturerbes in Notsituationen.
Die Fernerkundung hat die Horizonte für die Erforschung von Kulturerbe-Stätten erheblich erweitert. Heute nutzen Fachleute Geodaten zur Überwachung und Verwaltung von Kulturerbe-Stätten. Ob in der Luft oder aus dem Weltraum, Fernerkundungsdaten werden mit Hilfe verschiedener Technologien erzeugt, die Möglichkeiten bieten, Standorte zu überwachen, die von Überschwemmungen, Erdbeben, steigenden Meeresspiegeln oder anderen Umweltgefahren bedroht sind.
Herr Marzban, wie kann die Fernerkundung zum Schutz des Kulturerbes beitragen?
Fernerkundung wird uns auf verschiedenen Ebenen zugutekommen. Wenn wir von Satellitenbildern sprechen, kann es uns Einblicke in die Erdbeobachtung geben, um Veränderungen im Laufe der Zeit zu betrachten. Diese Veränderungen treten aus verschiedenen Gründen auf und verursachen auch die Verschlechterung und sogar die Zerstörung von Kulturerbestätten. Zu den Risikofaktoren, die wir betrachten, gehören Landnutzungsänderungen, Urbanisierung, Naturkatastrophen und Konflikte.
Wie wird die Fernerkundung bei einer künftigen Einrichtung der Auslandseinsatzeinheit Cultural Heritage Response Unit (CHRU) des KulturGutRetter-Projektes eingesetzt?
Im Falle einer Katastrophe, abhängig von dem betroffenen Gebiet und dem operativen Zeitrahmen, stellen wir die archäologischen und kulturellen Stätten in der betroffenen Gegend auf Karte dar und analysieren die verfügbaren Daten, um das Einsatzteam über potenziell beschädigte Kulturerbestätten zu informieren. Darüber hinaus ist es wichtig, die Teams vor Ort auf die möglichen Gefahren im Einsatzgebiet aufmerksam zu machen, damit sie ihre Pläne und Handlungen entsprechend anpassen können.
Welche Datenquellen nutzen Sie?
Es gibt verschiedene Datenquellen, die im Allgemeinen in frei verfügbare und kommerzielle Kategorien eingeteilt werden können. ESA (European Space Agency), USGS (United States Geological Survey) und NASA (National Aeronautics and Space Administration) gehören zu den Quellen, die kostenlose Satellitenbilder liefern. Es gibt auch mehrere kommerzielle Quellen, wie Planet Labs, Airbus, Maxar usw., von denen einige Open-Data-Programme haben, die Daten während großer katastrophaler Ereignisse liefern. Wir pflegen außerdem eine gute Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG), das uns Daten mit sehr hoher Auflösung (VHR) zur Verfügung stellt und wertvolle Ratschläge gibt.
Welche Methoden nutzen Sie?
Im Allgemeinen haben wir die Arten unserer Studien in präventive Maßnahmen, Zeitreihenanalyse (oder Überwachung) und schnelle Reaktionen kategorisiert. Präventive Maßnahmen beziehen sich auf Methoden zur Kartierung potenzieller Gefahren in bestimmten Bereichen und zur Simulation ihrer Auswirkungen, um uns über verschiedene Szenarien für die Zukunft vorzubereiten. Zeitreihenanalyse und -überwachung ermöglichen es uns, schädliche Veränderungen aufgrund natürlicher oder anthropogener Prozesse, die sich über einen längeren Zeitraum entwickeln, aufzuzeigen. Und schließlich wird eine schnelle Reaktion durch die Verwendung von Methoden wie Veränderungserkennung oder Schadensabschätzung durch die Analyse von Bildern vor und nach dem Ereignis durchgeführt.
Was sind die Herausforderungen bei der Verwendung von Fernerkundungsdaten vor und während eines möglichen Einsatzes von CHRU?
Die größten Herausforderungen sind die rechtzeitige Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Daten. Je nachdem, wie groß das betroffene Gebiet ist und wie viele archäologische oder kulturelle Denkmäler sich dort befinden, kann die Datenverarbeitung und -analyse zeitaufwendig sein.
Wie schnell können Sie Daten sammeln und analysieren, bevor die CHRU zum Katastrophenort geschickt wird?
Im besten Fall, wenn die Daten kurz nach der Katastrophe verfügbar sind, kann die Reaktionszeit bis zu einem Tag betragen. Wenn es jedoch einige Zeit dauert, bis wir die ersten Daten erhalten, dann beginnen wir mit der Erstellung von AoIs (Areas of Interest) auf der Grundlage anderer Informationsquellen und bereiten uns auch darauf vor, eine neue Datenerfassung per Satellit in Auftrag zu geben.
Können Sie uns sagen, worum es in Ihrer aktuellen Forschung geht?
Ein Teil meiner Forschung besteht immer darin, neue Datenquellen und neue Methoden zu finden, die für uns jetzt und in Zukunft nützlich sein können. Ich bin immer offen für neue Ideen und Fallstudien. Daher erforsche ich gemeinsam mit anderen Abteilungen des DAI auch einige andere mögliche Anwendungen von Fernerkundungsdaten in der Archäologie, die Satellitenbilder mit anderen Informationsquellen wie geologischen und hydrologischen Merkmalen kombinieren.
Welche Orte untersuchen Sie derzeit und warum?
Ein Schwerpunkt liegt auf den Auswirkungen klimabedingter Ereignisse und der Dokumentation der dadurch verursachten Zerstörung des kulturellen Erbes. Beispiele hierfür sind der Zyklon Daniel in Libyen, Überschwemmungen in Pakistan und Waldbrände auf Sizilien. In jüngerer Zeit untersuchen wir gemeinsam mit der DAI-Niederlassung in Damaskus auch einige Standorte in Jordanien aus einer anderen Perspektive.
Was erhoffen Sie sich vom Projekt KulturGutRetter?
Kurzfristig haben wir es mit Fällen zu tun, in denen wir kurzfristig handeln müssen, und manchmal auch die Anfrage von Kollegen nach aktuellem Bildmaterial von betroffenen Kulturstätten, an denen sie interessiert sind. In einem solchen Fall helfe ich immer gerne weiter. Langfristig gesehen habe ich einige Ideen für ein automatisiertes Monitoringsystem für das Kulturerbe, von dem sowohl die Forschung als auch der Schutz von Kulturerbestätten profitieren könnten.