Vom 25. bis 28. September 2024 fand im Schloss Demerthin (Gemeinde Gumtow) die erste Vollübung der vom Auswärtigen Amt finanzierten KulturGutRetter-Auslandseinheit Cultural Heritage Response Unit (CHRU) statt. In einem fiktiven Erdbebenszenario trainierten Fachleute den internationalen Kulturgutschutz nach einer Katastrophe. Ziel ist die Einsatzfähigkeit im Jahr 2025.
Die Freiwilligen der KulturGutRetter-Auslandseinheit Cultural Heritage Response Unit (CHRU) hatten während der Vollübung erstmals die Möglichkeit, im Rahmen eines großangelegten Übungsszenarios das zuvor Erlernte anzuwenden. Schauplatz des fiktiven Erdbebenszenarios war das Renaissance-Schloss Demerthin im Landkreis Prignitz in Brandenburg. Am Übungsort angekommen wurden die 41 Übungsteilnehmenden der CHRU mit dem folgenden Szenario konfrontiert.
Katastrophenszenario
Ein schweres Erdbeben hat die Region getroffen. Nationale und internationale Hilfskräfte haben die Lebensrettungsphase abgeschlossen, nun soll ein Kulturdenkmal und sein Inventar gesichert werden. Bestehende internationale Hilfsersuchen wurden um den Aspekt Kulturgutschutz erweitert und dieser in den Katastrophenschutzmechanismus der EU (UCPM) implementiert. Deutschland hat deshalb die Hilfe der Auslandseinsatzeinheit CHRU angeboten. Die Einheit ist an den betroffenen Einsatzort geflogen, an dem nun ein Schloss gesichert und Kulturgüter geborgen werden.
Ankunft der CHRU auf dem Schloss Demerthin | Foto: DAI, Marccel Pasternak
Kulturgut bergen, dokumentieren, notkonservieren
„Für dieses Projekt gibt es keine Blaupause. Als Einsatzleiter der CHRU wird mir besonders im Gedächtnis bleiben, wie gut die Zusammenarbeit und der Know-how-Transfer funktioniert haben. Ich bin überrascht, dass wir als so unterschiedliche Menschen – THWler, Archäologinnen, Restauratoren oder Ingenieurinnen – zusammengefunden haben. Aber der Antrieb, etwas zu schützen, das uns wertvoll ist, und der gemeinsame Blick auf ein sinnstiftendes Ziel schweißen eben zusammen“, sagte Stefan Tahn, CHRU-Teamleader.
Freiwillige Expertinnen und Experten für Bauforschung und Denkmalpflege führten während der Übung mit der Unterstützung von THW-Einsatzkräften eine Schadenserfassung am Schloss durch, bewerteten Schäden und dokumentierten das Gebäude. Die Nutzung des Geländes wurde durch die Vermittlung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und des Sachbereichs Denkmalschutz des Landkreises Prignitz und mit freundlicher Genehmigung der Gemeinde Gumtow ermöglicht.
Dokumentation und Schadensbewertung des kulturellen Erbes | Fotos: DAI, C.Domenech | DAI, M.Pasternak
Gemeinsam wurde Schutt aus den Schlossräumen entfernt, um die Statik zu entlasten. Die Freiwilligen füllten Hohlstellen am Gebäude und bargen Skulpturen, Dekorationselemente und andere mobile Kulturgüter, die im Labor auf dem Schlossgelände notkonserviert wurden. Mithilfe des digitalen QField-basierten Dokumentationssystems, das am DAI entwickelt wurde, erfassten Fachleute Gemälde, Statuen und andere Kulturgegenstände. Im mobilen Labor für Notkonservierung, das am LEIZA für den schnellen Transport in Katastrophengebiete entwickelt wurde, fotografierte, reinigte und verpackte die CHRU der Konservierung und Restaurierung das geborgene Kulturgut.
CHRU-Experten sichern unbewegliches und bewegliches Kulturgut | Fotos: DAI, Constance Domenech
Das THW stellte mit seiner jahrelangen Einsatzerfahrung die technischen und logistischen Komponenten des Teams zur Verfügung, indem es die Autarkie des Teams während des Einsatzes sicherstellte, den Transport der Ausstattung organisierte und ein Camp für das Team betrieb. Zudem wurde die Kommunikation ermöglicht und Fachberater eingesetzt. Das THW führte den gesamten Einsatz und stellte ehrenamtliches, erfahrenes Personal zur Verfügung, um das Team im Einsatzgebiet vor Ort zu leiten. Die Teamstruktur, das spezielle Equipment und die Workflows der Einsatzeinheit CHRU konnten die Teilnehmenden erstmals nach der Ausbildung im Einsatzszenario erproben.
Luftaufnahme des Schlosses und des Basislagers |Foto: DAI, Bernhard Fritsch
Die Ausbildung des Teams und die dazugehörige Großübung 2024 stellen wichtige Meilensteine im Projekt KulturGutRetter dar. Die grundlegende Einsatzfähigkeit der CHRU für den internationalen Kulturgutschutz in Katastrophenfällen ist für Anfang des Jahres 2025 geplant.
PROCULTHER-NET2 Beobachter
Arch. Veronica Piacentini und Arch. Cosmo Mercuri, sachverständige Mitglieder der Arbeitsgruppe für kulturelles Erbe der italienischen Katastrophenschutzbehörde, die am Projekt PROCULTHER-NET2 beteiligt sind, wurden als Beobachter eingeladen und konnten sich ein Bild von den bemerkenswerten technischen, organisatorischen und logistischen Fähigkeiten machen, die bei dieser Übung eingesetzt wurden.
Cosmo Mercuri: „Die Einsatzfähigkeit des Moduls hat sich im Hinblick auf den Umfang der Maßnahme als effektiv erwiesen. Zu den bemerkenswertesten Aspekten für seine Effektivität und Innovation gehört ein Werkzeug, das während der Inspektionen vor Ort eingesetzt wird und die effiziente Dokumentation, Katalogisierung und Verfolgung von registrierten Kulturgütern durch einen Prozess ermöglicht, der sie mittels eines eindeutigen Codes identifiziert und mit der Digitalisierung aller nachfolgenden Verarbeitungsschritte bis hin zu ihrer vorübergehenden Aufbewahrung fortgesetzt wird.“
PROCULTHER-NET2-Beobachter im Gespräch mit dem CHRU-Support Team | Foto: DAI, Constance Domenech
Veronica Piacentini zeigt sich beeindruckt von der Organisation und ist positiv überrascht von dem sehr gut ausgestatteten Notfalllabor, das außerhalb des Schlosses eingerichtet wurde, und stimmt den innovativen Aspekten der für die Dokumentation der Kulturgüter verwendeten Technologie zu. Ihrer Meinung nach war die Übung eine hervorragende praktische Anwendung, die die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Experten für kulturelles Erbe und Mitarbeitern des Katastrophenschutzes beweist, ein Schlüsselprinzip, auf dem die PROCULTHER-Initiativen beruhen und das weiterhin gestärkt werden soll. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Übung ist die Erleichterung des Dialogs zwischen den beiden Sektoren, die zusammenarbeiten sollen, um in Friedenszeiten eine gemeinsame Sprache zu finden, damit sie besser auf die Bewältigung großer Notfälle vorbereitet sind.
Schließlich fügte sie hinzu: „Das CHRU ist eine erste konkrete Anwendung der Umsetzung von Katastrophenschutzmodulen innerhalb des Verfahrens, die ausschließlich dem Schutz des gefährdeten kulturellen Erbes gewidmet sind. Dies bestätigt, dass PROCULTHER-NET auf dem richtigen Weg ist. Wir hoffen, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft viele solcher Module haben werden, um die Bemühungen des Mechanismus zum Schutz des kulturellen Erbes zu unterstützen“.
CHRU Team | Foto: DAI, Constance Domenech