Mit Blick auf das Jahr 2025 und die Planung eines neuen Jahres intensiver Projektentwicklung – mit dem Ziel, die Betriebsfähigkeit zu erreichen – lohnt es sich, eine Bilanz des Jahres 2024 zu ziehen, in dem KulturGutRetter in einen neuen Gang geschaltet hat.
Aufbau eines Netzwerks von Freiwilligen
Ein deutschlandweiter Aufruf für Freiwillige
Die größte Errungenschaft von 2024 war die Gewinnung und Ausbildung eines Netzwerks von über 100 Kulturerbe-Experten als Freiwillige für die Cultural Heritage Response Unit (CHRU), die international einsetzbare Einheit von KulturGutRetter. Diese Experten, die so unterschiedliche Fachkenntnisse wie Dokumentation, Schadensbewertung, Konservierung, Bergung und IT mitbringen und aus ganz Deutschland kommen, wurden dank der Mobilisierung des Archaeological Heritage Network (ArcHerNet) und der Berufsverbände in ganz Deutschland identifiziert, die den Aufruf von KulturGutRetter an Freiwillige weiterleiteten.
Im März 2024 fanden zwei erste Online-Informationsveranstaltungen statt, um die Ziele von KulturGutRetter vorzustellen und die Rolle zu erläutern, die Experten für kulturelles Erbe bei internationalen Hilfseinsätzen spielen müssen. Interessierten Bewerbern wurden neue Informationsmittel zur Verfügung gestellt, wie z. B. ein Animationsfilm und eine spezielle Seite im Blog des Projekts, auf der die Anforderungen für die einzelnen Expertenprofile beschrieben werden. An diesen Sitzungen nahmen über 200 Personen teil, von denen sich die meisten anschließend offiziell als Freiwillige meldeten. Jeder Bereich (bewegliche Kulturgüter, unbewegliche Kulturgüter, IT) prüfte dann sorgfältig die Profile und wählte über 100 Personen aus, die an den ersten Schulungen teilnahmen. Diese Experten für das kulturelle Erbe ergänzten die Katastrophenschutzexperten des THW.
Das Werbevideo zur Gewinnung von Freiwilligen in die CHRU.
Ein gemeinsames Training für Kulturerbe- und Katastrophenschutzexperten
Die KulturGutRetter-Projektpartner DAI, THW und LEIZA haben ein Online-Curriculum entwickelt, um eine gemeinsame Grundausbildung für Experten aus den Bereichen Kulturerbe und Katastrophenschutz anzubieten. Nachdem sie diese Kurse in ihrem eigenen Tempo absolviert hatten, wurde eine gemischte Gruppe von 80 Freiwilligen eingeladen, an einem “Stationsausbildung“ im THW-Logistikzentrum in Hilden teilzunehmen. Ziel dieses Workshops war es, den Freiwilligen praktische Erfahrungen zu vermitteln und sie mit der Ausrüstung vertraut zu machen, die sie im Einsatz verwenden – und manchmal auch zusammenbauen – müssen: das mobile Notfallkonservierungslabor für mobiles Kulturgut, Messgeräte für immobiles Kulturgut, IT-Ausrüstung… Diese zweitägige Ausbildung war auch eine Gelegenheit zur Teambildung über Disziplinen und Fachgebiete hinweg.
Freiwillige werden im Umgang mit der Ausrüstung für mobiles und immobiles Kulturgut geschult. | Fotos: DAI, Eva Götting
Die erste Vollübung für die CHRU
Ende September 2024 gipfelte die Ausbildung der Freiwilligen in der ersten Vollübung, die drei Tage lang in Demerthin, Brandenburg, stattfand. Das Übungsszenario sah ein Erdbeben im fiktiven Land Altengard vor, gefolgt von starken Regenfällen, die umfangreiche Schäden an immobilen und mobilen Gütern verursachten. Die CHRU sollte 7 Tage nach der Katastrophe eingesetzt werden und das Basislager einer THW-Wasserrettungseinheit übernehmen. 40 Freiwillige nahmen an der Ausbildung teil, während fast 60 Personen an der Übungsleitung und Logistik beteiligt waren.
Die CHRU musste das mobile Labor für Notfallkonservierung einrichten, Schadensbeurteilungen an mobilem und immobilem Kulturgut durchführen, Notfallkonservierungsmaßnahmen ergreifen, Kulturgüter stabilisieren, dokumentieren und gegebenenfalls evakuieren und dabei den Anforderungen und Bedürfnissen der lokalen Akteure und der zentralen Einsatzleitung in Deutschland gerecht werden. Durch Rollenspiele wurden verschiedene Handlungsstränge in das Szenario eingeführt, die ebenso viele Herausforderungen darstellten, mit denen das CHRU-Team bei der Ausführung seiner Hauptaufgaben fertig werden musste.
Insgesamt war die Vollübung ein Erfolg, und die aus dieser Erfahrung gezogenen Lehren werden dazu beitragen, die Arbeitsabläufe der CHRU im Hinblick auf das Erreichen der Einsatzbereitschaft zu verbessern.
CHRU-Freiwillige bei der Ankunft auf dem Gelände der Vollübung. | Foto: DAI, Marcel Pasternak
nationales und internationales Engagement
Ein aktiver Partner im europäischen Projekt PROCULTHER_NET2
Seit 2022 sind das DAI und das THW Projektpartner im europäischen Projekt PROCULTHER-NET, das den Aufbau einer thematischen Gemeinschaft zum Schutz des kulturellen Erbes im Katastrophenfall zum Ziel hat. Die zweite Phase des Projekts wurde 2024 gestartet. Neben der aktiven Teilnahme an den Projekttreffen war das DAI für die Koordinierung der Technical Bulletins verantwortlich, einer Fachpublikation, die bewährte Verfahren aus europäischen Ländern – und darüber hinaus – im Bereich des Schutzes des kulturellen Erbes zusammenfasst.
Für die beiden 2024 erscheinenden Publikationen (Technical Bulletins #3 und #4) wurde ein neues Format entwickelt, an dem Peer Reviewer beteiligt waren, um die Qualität und Übertragbarkeit der Artikel zu verbessern. Dadurch konnten auch mehr Experten und neue Länder in das Projekt einbezogen werden. Neben den Beiträgen des DAI und des THW zu den Themen Fernerkundung und IT-Ausrüstung für den Katastrophenschutz wurden in den Technical Bulletins 2024 mehrere bewährte Verfahren aus Deutschland vorgestellt, darunter die SiLk-Leitlinien und die Notfallverbünde.
Ausgaben #3 (Juni 2024) und #4 (Dezember 2024) der Technischen Mitteilungen. | Bilder: PROCULTHER-NET2
EU-MODEX in Venedig
Im Oktober 2024 umfasste in Venedig die europäische Katastrophenschutzübung (EU-MODEX) zum ersten Mal eine Kulturerbe-Komponente. Ein siebenköpfiges Kernteam der CHRU wurde vom Projekt PROCULTHER-NET2 eingeladen, an einer viertägigen, Vollübung teilzunehmen, an der auch Katastrophenschutzeinheiten aus Österreich, Zypern, der Tschechischen Republik, Deutschland, Italien, Polen, Rumänien, Spanien und der EU teilnahmen, die Feldlazarette bei Hochwasser übten. Im Rahmen des Szenarios zum kulturellen Erbe wurde das Team der CHRU zum Stadtarchiv und zu zwei Kirchen entsandt, um Schäden zu bewerten und gefährdete Kulturgüter zu evakuieren. CHRU arbeitete mit dem Team für kurzfristige Gegenmaßnahmen (STC) des italienischen Feuerwehr- und Rettungsdienstes zusammen, das Strukturinspektionen durchführte, um die Koordinierung und Interoperabilität der Teams innerhalb des Katastrophenschutzverfahrens der Union zu testen.
Evakuierung von mobilem Kulturgut durch CHRU-Mitglieder während der MODEX in Venedig. | Foto: DAI, Tobias Busen
Teilnahme an Veranstaltungen und Konferenzen
Im Jahr 2024 nahm KulturGutRetter an verschiedenen Veranstaltungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene teil.
In Deutschland wurden mehrere Vorträge im akademischen Kontext gehalten, u.a. im Rahmen des Master-Seminars „Kultur in Gefahr“ an der Universität Heidelberg, der Kurzvorlesungsreihe „Handle with Care“ an der Universität Hamburg und der Lecture Series „Architectural Conservation – Heritage in Context“ an der BTU Cottbus. Darüber hinaus wurden Fachvorträge vor Fachpublikum gehalten, u.a. bei der Research Data Alliance in Potsdam, bei der Theodor Wiegand Gesellschaft in Bonn und in der Online-Reihe „Spotlight KulturGutSchutz“ der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz und Blue Shield Deutschland.
Jahrestages der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten vorgestellt, darunter die UNESCO-Konferenz „Cultural Heritage and Peace“ in Den Haag (Mai 2024), ein Workshop in Brüssel zur Erarbeitung von Empfehlungen an die Europäische Union zu diesem Thema (Juli 2024) und die internationale Konferenz „Meeting the requirements across the forces“ an der österreichischen Landesverteidigungsakademie in Wien (November 2024).
Darüber hinaus wurden die neuesten Errungenschaften von KulturGutRetter auf Konferenzen vorgestellt, z. B. auf der “International Cultural Property Protection Conference” im Ungarischen Nationalmuseum in Budapest (November 2024) und auf der internationalen Online-Konferenz „Focus on Conservation“, die gemeinsam von ICOM und der Leibniz-Gemeinschaft organisiert wurde.
Gruppenfoto bei der UNESCO-Konferenz „Cultural Heritage and Peace“ in Den Haag. | Foto: UNESCO