Dipl.-Ing. Tobias Busen, Bauhistoriker und Koordinator des ArcHerNet, und der Archäologe und IT-Spezialist Dr. Bernhard Fritsch (KulturGutRetter, DAI) sprechen im Interview über digitale Anwendungen, die im Projekt KulturGutRetter zur Rettung von Kulturgut in Krisensituationen entwickelt werden.
Derzeit wird das Projekt „KulturGutRetter – Ein Mechanismus zur schnellen Hilfe von Kulturerbe in Krisensituationen“ am Deutschen Archäologischen Institut (DAI) zusammen mit dem Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) und dem Technischen Hilfswerk (THW) unterstützt durch das Archaeological Heritage Network (ArcHerNet) entwickelt. Die KulturGutRetter sollen weltweit zum Einsatz kommen, wenn Kulturgut in Krisensituationen gefährdet ist. Das KulturGutRetter-Team erprobte gemeinsam mit Fachleuten und Studierenden des Fachbereichs Historische Bauforschung und Baudenkmalpflege der Technischen Universität Berlin (TU) die digitalen Anwendungen zur Dokumentation von mobilem Kulturgut und Baudenkmälern.
Herr Busen, wie würden sich die KulturGutRetter auf einen Einsatz vorbereiten, wenn die Entwicklung des Mechanismus einmal abgeschlossen ist?
Tobias Busen: Bevor die KulturGutRetter am Einsatzort eintreffen, können wir bereits die Zeit nutzen, um einige Vorbereitungen zu treffen. Das heißt: Wir sammeln alle verfügbaren Daten, beispielsweise Fotografien von dem betroffenen Gebäude, dem Ensemble oder der Sammlung. Wir versuchen, über Fernerkundung weitere Informationen über den Einsatzort zu erlangen. Und wir sammeln alle Informationen über das Baudenkmal selbst, seine Inhalte und mögliche Ausstattung, die geschädigt sein könnte sowie natürlich Planmaterial, das für uns im Einsatz ganz wichtig ist, gerade im Hinblick auf mobile Anwendungen.
Was würde passiert, wenn die KulturGutRetter vor Ort eintreffen?
Tobias Busen: Wenn ein Baudenkmal gefährdet ist, dann bedeutet das in erster Linie auch, dass unsere Expertinnen und Experten gefährdet sind. Das heißt, zuallererst muss geprüft werden, ob das Gebäude überhaupt betretbar ist und nicht im nächsten Moment einstürzt. Wenn das sicher gestellt ist, kommt es sehr darauf an, welches Material zu dem Gebäude bereits vorliegt. Wenn wir beispielsweise keine Pläne haben, müssen wir Planmaterial zu dem Gebäude erstellen. Das kann von einer einfachen Schrittskizze bis hin zu einer Vermessung mit Laserscannern oder Fotogrammmetrie reichen.
Welche Bedeutung haben digitale Anwendungen bei der Entwicklung des KULTURGUTRETTER-Rettungsmechanismus?
Bernhard Fritsch: Digitale Anwendungen sind für uns sehr wichtig, um die großen Mengen an Daten zu erfassen und weiter zu verarbeiten. Wir nutzen zwei Apps und zwar iDAI.field und Qfield. Das sind Apps, mit denen man sehr schnell und effizient Daten im Feld erfassen kann. Der zusätzliche Vorteil ist, dass man sehr strukturierte Daten bekommt, die unter einander und mit anderen Anwendungen leicht zu synchronisieren sind. Sowohl für mobiles Kulturgut als auch für immobiles Kulturgut können dieselben Anwendungen genutzt werden, da alle Anwendungen mit entsprechenden Datenmodellen hinterlegt sind, die im Projekt KulturGutRetter entwickelt worden sind. Die Daten können so mit den Informationen, die wir brauchen verknüpft werden. Beide Anwendungen sind Open Source. Das ermöglicht auch, dass die Daten hinterher mit anderen Anwendungen weiterverarbeitet und auch weiter verwendet werden können.
Welche Möglichkeiten bietet die App iDAI.field für die Dokumentation von immobilem Kulturgut?
Tobias Busen: Das Programm iDAI.field ist eine DAI eigene Entwicklung, die eigentlich für die archäologische Feldarbeit entwickelt wurde und jetzt von den Kollegen des IT- Referats flexibel auf die Bedarfe der KulturGutRetter angepasst wird. Was das immobile Kulturgut betrifft, haben wir zwei Anliegen: Zum einen haben wir den Anspruch, das geschädigte Kulturgut in dem Moment, in dem wir am Einsatzort sind, in seinem Zustand zu dokumentieren. Das können ja auch Gebäude sein, die vorher noch nie vollständig dokumentiert wurden. Zum anderen möchten wir Schäden erkennen, festhalten, dokumentieren und bewerten, um dann möglicherweise schon Sofortmaßnahmen zur Rettung dieser beschädigten Teile einzuleiten.
Wie wird die App Qfield angewendet?
Bernhard Fritsch: Mit Qfield ist es möglich, räumliche Daten sehr exakt aufzunehmen. Das heißt, wir können sowohl mobile Objekte als auch Strukturen wie Mauern und Gebäude genau verorten und mit Karten hinterlegen. Außerdem kann man diese Objekte annotieren also mit Informationen anreichern, die zu diesem Gebäude gehören.
Tobias Busen: Richtig. Auf dieser Basis ist es ganz wichtig, dass wir den Zustand dokumentieren, sei es mit Fotografien oder Beschreibungen, aber auf das Minimum reduziert. Die erkannten Schäden müssen dann kartiert und bewertet werden, um die nächsten Schritte einleiten zu können.
Wenn beispielsweise ein Museum gefährdet ist, werden auch Sammlungsobjekte gerettet. Inwiefern können die digitalen Anwendungen dabei helfen?
Bernhard Fritsch: Mithilfe der digitalen Anwendungen ist es möglich, dass der Standort der Objekte und ihr Status verfolgt werden können. Das heißt wir wissen immer, wo sich die Objekte befinden, wo sie herkamen und ob sie beispielsweise schon fotografiert, gereinigt, notkonserviert oder verpackt wurden. Das kann beispielsweise mithilfe eines QR-Codes realisiert werden, der jedem Objekt zugeordnet ist.
In solche spezialisierten Applikationen muss man sich sicher einarbeiten. Wer benutzt die Software?
Bernhard Fritsch: Zum einen ist es so, dass die Expertinnen und Experten der KulturGutRetter die Software benutzen und sich gut damit auskennen sollen, zum anderen ist die Software so angelegt, dass lokale Ortskräfte und Helfer im Falle eines Einsatzes nach einer kurzen Schulung fähig sein sollten, Daten effizient aufzunehmen.
Was geschieht mit den gesammelten Daten?
Tobias Busen: Wenn wir fertig sind mit dem Notfall- und Rettungseinsatz, dann haben wir dieses Kulturgut betreffend eine ganze Menge strukturierter Daten produziert. Sei es für eine Sammlung oder ein Gebäude oder beides zusammen. Genauso wie das Kulturgut gehören diese Daten dem betroffenen Land, bzw. der betroffenen Institution und wir hoffen natürlich, wenn wir die Daten am Ende des Einsatzes übergeben, dass sie in bestehende Datenstrukturen eingebunden werden können und damit auch zur nachhaltigen Pflege und Nachsorge des Kulturguts beitragen können. Sie können aber auch als Grundlage dienen für den Aufbau eines neuen digitalen Inventars oder Archivs der Sammlung oder des Gebäudebestandes. Und wir hoffen natürlich, dass wir damit zum Schutz und Erhalt von Kulturerbe in Krisensituationen weltweit unseren Beitrag leisten können.
Herr Busen, Herr Dr. Fritsch, vielen Dank!
Das Gespräch führte: Eva Götting-Martin