Unser Team wünscht einen guten Start in das neue Jahr! Das Jahr 2022 war sehr ereignisreich. In unserem Jahresrückblick geben wir Einblicke in die Arbeiten des KulturGutRetter-Projektes.
Das Projekt KulturGutRetter zielt auf die Schaffung eines Mechanismus für schnelle Hilfe für Kulturgüter in Krisensituationen weltweit. Im Rahmen der internationalen Katastrophenhilfe und auf Bitte eines betroffenen Landes sollen Teams von Fachleuten aus Deutschland vor Ort bei der Schadensdokumentation und -bewertung sowie der Durchführung von Notmaßnahmen am gebauten Erbe sowie für mobiles Erbe wie Sammlungen, Bibliotheken oder Archive helfen. Das Projekt wird von drei Partnern getragen und gemeinsam entwickelt, dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI), dem Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA) und dem Technischen Hilfswerk (THW). Im Jahr 2022 schritt die Entwicklung des Projektes weiter voran. Maßgeblich geprägt wurden die Tätigkeiten des Projektteams durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Um den Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine Unterstützung beim Erhalt ihres Kulturerbes zu bieten, engagierten sich die KulturGutRetter in mehreren Initiativen. Trotz der neuen Herausforderung wurden die verschiedenen Arbeitsbereiche des Mechanismus erfolgreich weiterentwickelt. In einigen Schlaglichtern zeigt der Jahresrückblick das Engagement unseres Teams.
UKRAINE-HILFE
KulturGutRetter-Logistiknetz für Hilfslieferungen
Das Projekt KulturGutRetter und das DAI etablierten gemeinsam mit ihrem Partner THW ein Logistiknetz, um Hilfsgüter für den Kulturerhalt schnell und effizient in die Ukraine zu bringen. Zusammen mit Blue Shield Deutschland e.V., der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz e.V. (DGKS) und dem Team des SiLK – SicherheitsLeitfaden Kulturgut mit den Notfallverbünden in München, Stuttgart, Köln, Halle/Saale, Weimar, Dresden und Berlin wurde das Logistiknetzwerk 2022 erfolgreich betrieben. Insgesamt sendeten die KulturGutRetter 2022 neun Sattelschlepper beladen mit 290 Paletten – etwa 41,6 Tonnen – an Hilfsgütern über das neuetablierte KulturGutRetter-Logistiknetz mithilfe des THW in die Ukraine. Die Verpackungs- und Hilfsmaterialien, wie beispielsweise Luftpolsterfolie, Archivkartons, Feuerlöscher und Sandsäcke wurden dank der Heritage Emergency Response Initiative (HERI) an Museen, Archive, Bibliotheken und andere Kulturinstitutionen und -stätten im Land verteilt.
Im Logistikzentrum in Berlin liegen Verpackungsmaterialien, Feuerlöscher und andere Hilfslieferungen von Institutionen, wie z.B. den European Heritage Volunteers zum Abtransport bereit. | Foto: DAI, Eva Götting-Martin.
Durch die Partner des Netzwerks konnten umfangreiche Geld- und Sachspenden gesammelt werden. Die Spenden ermöglichten, dass Denkmäler mit Sandsäcken gesichert und Gemälde, Archivalien oder archäologische Objekte durch Verpackungs- und Schutzmaterialien vor der Zerstörung bewahrt wurden. Die Initiative des KulturGutRetter-Logistiknetzwerks fügt sich ein in Maßnahmen des „Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine“, das durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien zusammen mit dem Auswärtigen Amt ins Leben gerufen wurde.
Software für die Dokumentation von Kulturgut – Übersetzung ins Ukrainische und Schulung
Das Open Source-Tool Field Desktop (iDAI.field), wurde am IT-Referat des DAI für die archäologische und bauforscherische Felddokumentation entwickelt. Im Rahmen des Projektes KulturGutRetter wurde die Anwendung ins Ukrainische übersetzt. Außerdem wurden Online-Schulungen für Field Desktop durchgeführt, die sich an Fachleute für das gebaute Kulturerbe in der Ukraine richteten.
Sicherung von Forschungsdaten aus der Ukraine
Auf Anfrage von Forscherinnen und Forschern aus der Ukraine haben das DAI und das KulturGutRetter-Projekt Maßnahmen eingeleitet, um wichtige Forschungsdaten zum kulturellen Erbe der Ukraine zu bewahren. Damit die wissenschaftlichen Daten im Verlauf des Angriffskrieges in der Ukraine nicht verloren gehen, wurde Speicherplatz zur Verfügung gestellt. 2022 konnten so insgesamt 7 TB an Forschungsdaten gesichert werden. Außerdem wurden die Kolleginnen und Kollegen vor Ort dabei unterstützt Sicherungen und Datentransfers durchzuführen sowie bei der Zahlung von Strom- und Internetkosten. Hierfür haben das Auswärtige Amt über das Kulturerhalt-Programm und die Hasso-Plattner Foundation Mittel für kurzfristige Stipendien für ukrainische Archäologinnen und Archäologen vor Ort bereitgestellt. Um die Sicherheit zu erhöhen, wurden die Daten zusätzlich durch das Hasso-Plattner-Institut (SCORE Lab) und die Max Planck Computing and Data Facility gespiegelt.
MODULTISCHE FÜR DIE DOKUMENTATION UND ERSTVERSORGUNG VON KULTURGUT
In diesem Jahr wurde die Entwicklung der multifunktionalen Rettungsmodule, die für die notwendige Erstversorgung von beweglichem Kulturgut in Krisengebieten entworfen wurden, weiter vorangetrieben. Fachleute für Restaurierung entwickeln und erproben im Rahmen des Projektes KulturGutRetter am Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA), ehemals Römisch-Germanisches Zentralmuseum (RGZM), ein modulares, skalierbares und transportfähiges System zur Rettung von Kulturgut nach Katastrophen.
Neben dem Verfassen von wissenschaftlich basierten Minimal Standard Procedures für die Erstversorgung von Kulturgut wurde das Grundmodul der verschiedenen Rettungsmodule in seiner Funktion erweitert und ist nun multifunktional auch als Transportwagen einsetzbar. Ein beleuchteter Fototisch, dessen Funktionen dieses Jahr weiter verbessert wurden, dient der Dokumentation des Ein- und Ausgangszustands des geretteten Kulturguts. Ein Tisch für die Nassreinigung, der es ermöglicht Objekte von Schmutz zu befreien, wurde 2022 weiter optimiert. Das Trockenreinigungsmodul wird verwendet, wenn Objekte durch Staub oder Ruß verunreinigt wurden. Als letztes Rettungsmodul entstand das Verpackungsmodul. Hier werden die gereinigten Objekte für den Transport vorbereitet. Die Entwicklung der Modultische ist noch nicht abgeschlossen und wird zukünftig auf Kulturgut jenseits archäologischer Objekte ausgerichtet.
ENGAGEMENT VON EHRENAMTLICHEN THW-MITGLIEDERN
Im Projekt KulturGutRetter setzten sich THW-Ehrenamtliche engagiert für das Projekt ein. Insgesamt fanden 2022 über 20 Veranstaltungen unter Beteiligung von ehrenamtlichen THW-Einsatzkräften statt. In den Arbeitsgruppen Logistik, Personal, ICT, Standard Operating Procedures (SOP) beteiligten sich über 50 Einsatzkräfte ehrenamtlich. Auch an Fachverantaltungen, wie der Messe Denkmal in Leipzig, der Fachtagung des Verbandes der Grabungstechniker und Feldarchäologen e.V. und dem Tag der offenen Tür im Auswärtigen Amt partizipierten Ehrenamtliche des THW gemeinsam mit dem Team der KulturGutRetter.
INTERNATIONALE VERNETZUNG
Während zahlreicher internationaler Veranstaltungen traten die Teammitglieder in den Austausch mit Fachleuten und diskutierten Themen rund um das Thema Kulturerbe in der Krise. Expertinnen und Experten des DAI und des THW brachten sich als Partner der KulturGutRetter aktiv in das EU-geförderte Projekt ProCultHer-NET ein. Dabei hielt das KulturGutRetter-Team unter anderem Vorträge bei der Climate.Culture.Peace Konferenz des vom ICCOM/British Council, dem Proculther-NET Initial Planning Meeting in Rom, sowie während des Cultural Property Protection Kurses der Donau Universität und dem European Security and Defense College, in Krems.
VERANSTALTUNGEN
Konferenz: Groundcheck – Klima, Krise, Archäologie
Während der Konferenz Groundcheck wurden die Auswirkungen globaler Klimaveränderungen thematisiert und anhand aktueller Forschungen aufgezeigt, was Klimawandel für Gesellschaften in der Vergangenheit und Gegenwart bedeuten. Nachhaltige Lösungen früherer Gesellschaften zu verstehen und für unsere Gegenwart und Zukunft nutzbar zu machen, war ebenso Thema der Konferenz, wie nachhaltige Lösungen zum Schutz von Kulturgütern vor dem Klimawandel zu finden.
Nach einer Begrüßung durch den Beauftragten für Außenwissenschafts-, -bildungs- und -forschungspolitik im Auswärtigen Amt, Vito Cecere, wurde die Konferenz eröffnet durch die Staatssekretärin und Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik im Auswärtigen Amt, Jennifer Lee Morgan, und eine Einführung durch die Präsidentin des DAI, Prof. Dr. Friederike Fless. Auf dem Podium diskutierten später Erhard Grundl (MdB), Prof. Monika Grütters (MdB), Michelle Müntefering (MdB), Prof. Dr. Friederike Fless (DAI), Dr.-Ing. Katja Piesker (DAI). Im Ausstellungsbereich stellten neben mehreren anderen Ausstellern die KulturGutRetter gemeinsam mit ihren Partnern von DAI, LEIZA und THW ihr Projekt vor und präsentierten die mobilen Modultische zur Restaurierung und Dokumentation von Kulturgut in Krisensituationen.
Tagung: Baudenkmale in Konflikten und Katastrophen
Auf der denkmal Messe 2022 am 25. November in Leipzig luden das Deutsche Nationalkomitee von ICOMOS e.V. in Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission e. V., dem Deutschen Archäologischen Institut sowie Blue Shield Deutschland zur Tagung „Baudenkmale in Konflikten und Katastrophen – Prävention/Intervention/Nachsorge“ ein. Die Tagung näherte sich in mehreren Vorträgen einem komplexen Thema an und hatte zum Ziel, Initiativen und Organisationen sowie KulturerbespezialistInnen, RestauratorInnen und interessierten BesucherInnen der denkmal Messe eine Orientierung auf dem Gebiet des Denkmalschutzes und der Denkmalrettung in Konflikt- und Krisenfällen zu geben. Fachvorträge und Diskussionsrunden boten zahlreiche Möglichkeiten, Neues zu erfahren und in den Austausch mit Fachleuten zu kommen. Die Beiträge und Ergebnisse der Tagung werden in der Reihe „ICOMOS – Hefte des Deutschen Nationalkomitees“ erscheinen.
ENGAGEMENT FÜR DIE MENA-REGION
Online-Kurse für die MENA-Region
Im Jahr 2022 erfreuten sich die Online-Kurse der KulturGutRetter einer extrem großen Nachfrage. Die 1056 eingegangenen Bewerbungen zeigen das große Interesse der jungen WissenschaftlerInnen aus der MENA-Region an Kursen zu Themen der Dokumentation von Kulturerbe. Die „Online-Kurse für die MENA-Region“ werden im Rahmen des Projekts KulturGutRetter durch das IT-Referat des DAI koordiniert. Das Projekt zielt auf den Aufbau von Kapazitäten und die Etablierung eines internationalen Netzwerks lokaler Experten in der MENA-Region ab. Die jungen WissenschaftlerInnen lernen während der Kurse grundlegende Techniken und Anwendungen zur digitalen Dokumentation des kulturellen Erbes kennen. Durch Fachleute des DAI wurden 2022 vier Kurse zu den Themen „Spatial Databases and Analyses for Cultural Heritage Protection in open-source GIS“ und “ Recording Cultural Heritage for Post-Conflict Recovery using GIS” gegeben. Insgesamt konnten 61 Teilnehmende (62% Frauen, 38% Männer) dieses Jahr von den Fortbildungsangeboten profitieren.
Restaurierungsarbeiten nach der Explosion in Beirut
Am 4. August 2020 wurden zahlreiche historische Gebäude durch die katastrophale Explosion im Hafen von Beirut schwer beschädigt. Das DAI hatte umgehend Hilfe angeboten und die genaue Dokumentation der Schäden sowie die Kommunikationsstrukturen zwischen engagierten Bürgern, NGOS und der für die historischen Häuser zuständigen Antikenverwaltung unterstützt. Seit 2021 betreut die Orient-Abteilung des DAI ein Fortbildungsprogramm für HandwerkerInnen, mit dem am Beispiel des beschädigten historischen Hauses Medawar 749, die traditionellen Techniken weitergegeben werden. Das DAI nutzte dabei auch die Strukturen des KulturGutRetter Projekts, das für schnelle Hilfe bei Katastrophen an Kulturgut eingesetzt wird.
Am 16. Dezember 2022 ist an dem historischen Gebäude Medawar 749 der letzte Dachziegel verlegt worden. Das Dach ist nun intakt, das Mauerwerk geschlossen und das Haus damit stand- und winterfest. Das Fortbildungsprojekt konnte dank des großzügigen Entgegenkommens des Besitzers und durch die Unterstützung des Auswärtigen Amtes initiiert werden.
PUBLIKATIONEN
Condition assessment and damage mapping of build cultural heritage
Das Buch „Condition Assessment and Damage Mapping of Build Cultural Heritage“ von Alexandra Skedzuhn-Safir (Lehrstuhl für Denkmalpflege, BTU Cottbus-Senftenberg) ist in englischer und arabischer Sprache erschienen und online verfügbar.
Measured Building Survey (Englische Version)
Der vorliegende Band bietet neben einem geschichtlichen Überblick zur Bauaufnahme als Methode vor allem konkrete Handreichungen zu den verschiedenen Möglichkeiten der Dokumentation historischer Bausubstanz – begonnen beim Handaufmaß bis zur Anwendung der heute verfügbaren elektronischen Hilfsmittel.